Tag 1 – So. 20. Mai 2012
Bridge of Orchy – Kinlochleven
33km – 806hm – 5h
Im Flur vor der Rezeption baue ich erst einmal mein Rad zusammen und verstaue das Gepäck, dann lasse ich das Rad stehen um erst mal zu frühstücken. Man empfiehlt mir ein Cafe um die Ecke, welches sich als enger, proppenvoller Imbiss entpuppt. Ich ergattere einen der wenigen Plätze und bestelle ein full scottish breakfast mit Kaffee für 3,90£.
Man kennt ja das englische Frühstück, aber was mir vorgesetzt wird, ist für den Kontinentaleuropäer dann doch ein klein bißchen überraschend, besonders wegen der typisch schottischen, dicken Scheibe black pudding, also gebratener Blutwurst. (Pudding wird übrigens wie im deutschen gesprochen, also mit u)
Man beachte die sorgsam arrangierte Komposition der linienförmigen gegenüber den runden Elementen und den perfekt ausgerichteten sausages-Staudamm.
Ich habe das von da an jeden Morgen gegessen, in diversen Qualitätsstufen, aber immer mit black pudding. Auch ’ne Art von Blutdoping. Das hält bis in den Nachmittag. Dann ein, zwei Riegel und abends zwei, drei Pint. This makes my day.
Zurück ins Hostel, Flugtasche im Locker-Room verstaut, Rad unter den Arm, die Wendeltreppe runter und kurzer Fotostopp auf der North Bridge.
Dann eine Runde durch die Altstadt gedreht, wo ich an der Burg standesgemäß begrüßt werde. Hier findet im August das legendäre Royal Edinburgh Military Tattoo statt.
Der Plan: um 11:00 Uhr geht der Zug nach Glasgow Queen-Street. Ankunft 11:50. Dort werde ich umsteigen in die West-Highland-Line Richtung Fort William.
Abfahrt 12:21. Geplante Ankunft in Bridge of Orchy 14:45.
Am Schalter in Waverly-Station sitzt ein großer, kräftiger, kantiger, rotgesichtiger Schotte, der beim Braveheart-Casting sicher in die Endrunde gekommen wäre und so spricht, wie er aussieht. Wer das nicht kennt, das hört sich etwa so an, wie ein Klischee-Bayer ohne Englischkenntnisse Englisch lesen würde, ohne Ti-äitsch und dazu mit heftig rollendem R, was sich zwischen uns beiden erst mal in gegenseitigen Verständigungsproblemen äußert, denn meine Rs sind für ihn quasi nicht vorhanden. Statt Bridge of Orchy will er mir deshalb eine Reise nach Pitlochry buchen und nachdem wir das irgendwie friedlich geklärt kriegen, meint er, nach Glasgow sei Radmitnahme kein Problem, aber weiter müsste man das Rad im Voraus buchen und da sei kein Platz mehr.
Gnnrr. (jetzt rolle sogar ich das R)
Na egal. Erst mal nach Glasgow und dann eben Plan B, also doch den gesamten West-Highland-Way fahren. Dauert eben einen Tag länger, da muss ich irgendwie unterwegs kürzen.
In Glasgow angekommen gehe ich trotzdem nochmal zum Schalter und die Dame meint, ich solle einfach beim Schaffner fragen, ob noch Platz ist. Yes, it is und so schwenke ich triumphierend wieder zu Plan A.
Die Bahnfahrt ist zu Beginn relativ uninteressant, erst wenn man die Nordspitze von Loch Lomond erreicht, kommt so langsam Highland-Feeling auf. In Crianlarich hält der Zug eine ganze Weile, weil er hier getrennt wird in den Teil, der nach Fort William fährt und einen nach Mallaig. Hätte ich vorher gewußt, dass der Aufenthalt mindestens eine halbe Stunde dauert (was allerdings nicht der Normalfall ist), wäre ich bereits hier aufgebrochen, denn bis Bridge of Orchy sind es nur 18 km.
Aber irgendwann geht es weiter, die Landschaft öffnet sich zu einem breiten Tal zwischen Loch Lomond und Rannoch Moor und so stehe ich schließlich am Bahnsteig von Bridge of Orchy.
Ob der Ticketkauf wohl einfacher gewesen wäre, wenn ich bei Mr. Rolling-R ein Ticket nach Drochaid Urchaidh bestellt hätte? Oder ob ich damit aus Versehen eine Blutfehde heraufbeschworen hätte? Hm, wenn ich mal so richtig abenteuerlustig bin und viel Zeit im Urlaub habe, probier ich das vielleicht mal.
Allerdings nur, wenn der hinter’m Schalter klein und schmächtig ist.
Und mindestens ein Holzbein hat.
15 Uhr. Es ist leicht bewölkt, trocken und ca. 14 Grad.
Musik an
Und jetzt………geht’s………loooos!
Vom Bahnhof runter durch den Ort und auf der anderen Talseite direkt auf den West Highland Way, der leicht bergauf durch ein Kiefernwäldchen führt. Könnte genauso in den Alpen sein.
Als ich kurz darauf aus dem Wäldchen rauskomme……..nein, das sind definitiv nicht die Alpen. Welcome to the highlands.
Der Weg führt über einen Höhenzug und dann runter ins Rannoch Moor. Alles prächtig fahrbar, schließlich ist der WHW der bestausgebaute Fernwanderweg Schottlands.
„Rannoch Moor eats your heart“ schrieb 13FM. Als ich das zum ersten Mal las, fragte ich mich, was das wohl heißen sollte.
Jetzt merke ich es: innerhalb kürzester Zeit sind sämtliche Alltagsgedanken wie weggeblasen. Arbeit? Welche Arbeit?
Das hier sind die Highlands und hier kann es nur einen geben. 🙂
Rechts mit den Pfeilen sowie den Punkten kann man navigieren. Ein Klick aufs Bild zeigt eine große Ansicht, auch in dieser kann man mit den Pfeiltasten im Bild oder der Tastatur blättern
Nach zweieinhalb Stunden (wegen vielen Foto-Stops), dauergrinsend und ständig „Loch Lomond“ summend, erreiche ich Kingshouse Hotel an der Hauptstrasse ins Glencoe. Zeit für eine Stärkung.
Und weiter geht’s, Devil’s Staircase, ein Highlight auf dem WHW wartet. Man kann ab Kingshouse den WHW mehr oder weniger parallel zur Hauptstrasse fahren, ich entscheide mich für letztere. Nachtrag: 2017 bin ich die WHW-Route in der Gegenrichtung gefahren. Holprig, aber eindeutig interessanter als die Strasse.
Der Staircase beginnt kurz vor Glencoe. Hier haben wir 1995 im Vorbeifahren eine Filmcrew gesehen und auf einem Felsen einen Mann im Plaid mit Schwert, der von weitem wie Christopher Lambert aussah.
Das erinnert mich daran, dass es nur einen geben kann, also los! Den Einstieg der Teufelstreppe gehe ich mit Elan an, denn angeblich kann man Devil’s Staircase mit guten Beinen auch hoch fahren, zumindest im unteren Bereich.
Na, ja. Ohne Gepäck würde es bestimmt gehen. Und wenn ich mehr trainiert hätte. Und wenn ich nicht schon unglaubliche 25 km gefahren wäre. Und wenn ich das Guinness nicht getrunken hätte. Oder wenn ich ein Guinness mehr getrunken hätte. Und wenn es nicht so verblockt und ausgewaschen wäre. Und wenn nicht die ganzen Längsrinnen, Querrinnen und Stufen wären. Und wenn die steilen Stellen nicht so einen losen Untergrund hätten.
Kurz gesagt: im Prinzip fahrbar.
Nach 280hm erreiche ich den Pass auf unglaublichen 560m Höhe. Hier treffe ich auf zwei Biker mit Enduro-Bikes, die gerade von Kinlochleven her ankommen.
Der eine fährt ein Canyon-Bike und nach kurzem Fachgesimpel stürzen wir uns entgegengesetzt in unseren hochverdienten Downhill.
Nachtrag: der Devil’s Staircase North (auch Super K genannt) wurde 2018 „improved“. Aus Biker-Sicht eine Verschlechterung, aber mal sehen, wie lange das hält.
An der anderen Talseite sieht man den legendären Ciaran-Path (leider kein Foto). Für heute ist der definitiv nichts, denn der soll auch ohne Gepäck schon eine Klasse für sich sein.
Ich stoße auf den Fahrweg von Kinlochleven zum Staudamm des Reservoirs. Hier bei dem Gebäude soll irgendwo die Wasserleitung beginnen, die vom Reservoir kommt und auf deren Betondecke man laut 13FM mit dem Rad parallel zum Fahrweg in gleichmäßiger Steigung bis zur Staumauer fahren kann.
Für mich geht’s aber den geschotterten Fahrweg abwärts, eine herrliche Heizerei und direkt am Ortseingang erreiche ich gegen 20 Uhr den Campingplatz.
Der besteht aus einer kleinen Wiese und einigen fassartigen Häusschen (Armadillas), die man mieten kann. Ausserdem kann man auch im Youth-Hostel übernachten.
Ich schlage zum ersten mal das Zelt auf und lerne dabei die ersten Einheimischen kennen, die mir neugierig um die Nase surren.
Zelt steht, Rad ist versorgt, Dusche erledigt, auf ins Dorf. Im Supermärktchen und dem Angelladen suche ich vergeblich nach methylated spirit.
Na dann eben anderer Spirit. Es gibt eine Bar, typische Dorfkneipe, für ein Abendessen in Form mehrerer Pints bestens geeignet.
Slàinte mhath!
Nachtrag: Diese Strecke wurde im Jahr drauf, also von 2013 bis 2015 komplett Teil des HTR550, nur dass dieses ein paar Kilometer vorher in Tyndrum und schon um 9 Uhr morgens startet. Die meisten Teilnehmer schaffen es am ersten Tag bis Fort Augustus, das sind dann lockere 140km, manche fahren aber über 200. Trotzdem bin ich auf meine 33km stolz, jawoll.
Hier noch ein Überblick über die Trails bei Kinlochleven. Würde sich lohnen, einen Tag zu verweilen. Mein Plan sieht aber was anderes vor. If i had known better……
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