Dornie – Fort Augustus
68,6km – 1700hm – 9h – 16° – 2mm
Es regnet. Beim Frühstück blicke ich durch das Panoramafenster des B&B auf das verhangene Loch Long und überlege, ob ich bei dem Wetter Glen Affric angehen soll. Ach, stell dich nicht so an, Memme. Ausserdem ist ab Mittag gut gemeldet, also los.
Der HT550 fährt ab Dornie die ersten 6km auf Nebenstrecke etwas weiter oben am Talhang. Ich spare mir die 180hm und rausche die Hauptstraße entlang, natürlich erst, nachdem ich das unvermeidliche Foto gemacht habe.
Bei km 12 erreiche ich Morvich und den Einstieg ins Glen Lichd. Erinnerungen an 1992 werden wach:
Flashback-
Als wir zu dritt in Cannich aufbrachen, um das legendäre Glen Affric zu bezwingen, gerüstet, allen Widrigkeiten, Gefahren und sonstiger Unbill zu trotzen, lagen bis zum Ziel der ersten Etappe, dem „Alltbeithe Hostel“, 33km vor uns, davon die ersten 20 bis Loch Affric auf Teer- und Schotterpiste …….20 sehr lange Kilometer ……..und mit jedem wurde uns zunehmend schmerzhaft bewusst, dass Reduktion auf das Wesentliche, heutzutage „Ultralight“ genannt, kein so dummer Gedanke gewesen wäre.
-Flashback-
Endlich am Loch Affric angekommen, hatten wir laut Velbinger Reiseführer (dem Standardwerk für den Backpacker der 90er) die Wahl: südlich des Lochs auf einem ruppigen Singletrail mit vielen Bachquerungen und viel Auf und Ab oder nördlich auf einem guten Doubletrack. Wir wählten die einfachere Variante. Als wir feststellten, dass der Autor des Reiseführers („Rappel, dä Ochs“) offenbar eine Nord/Süd-Schwäche hatte, war es bereits zu spät. Wir kamen auf dem holprigen Trail nur schleppend voran, aber die Landschaft war grandios und das Ganze für uns die erste echte Erfahrung, wie die Highlands sich anfühlen……..
Flashback
Ich mache diese Tour heute also in der Gegenrichtung. Glen Lichd ist die ersten 6km meist sanft ansteigend und von Weideland geprägt. Ich wundere mich, dass die Schafe hier nicht explosionsartig flüchten, wenn ich mich ihnen bis auf ein paar Meter nähere. Sie wirken richtig cool, allerdings auch nasser als die bisherigen, vielleicht besteht da ein Zusammenhang. Ich bin ein bißchen enttäuscht, dass der Respekt vor Celtman hier deutlich zu wünschen übrig lässt. Zum versöhnlichen Ausgleich sind hier die Kühe so schreck- wie schmackhaft (OK, das ist ein Heinz-Erhard-Gedächtnisgag) und selbst durch mein bloßes Erscheinen löse ich eine Massenpanik aus.
….Als Gert abends im Alltbeithe Hostel die Schuhe auszog, rauchten die Füße. Nein, nicht dampften, tatsächlich rauchten. Wir waren platt, gerädert, völlig kaputt. Immerhin waren wir 29km gelaufen und die letzten 4 hätten wir sicher auch noch geschafft, trotz der einbrechenden Dunkelheit. Aber als der Hostelinhaber mit seinem Pickup vorbeikam sagten wir nicht nein (auch, da uns soeben eingefallen war, dass wir keine Lampe dabei hatten). Trotzdem, wir waren die Chefs. Die Luschen im Slater’s arms würden staunen. Das soll uns mal einer nachmachen….
Im Auf und Ab der Moränenlandschaft sehe ich eine junge Wanderin forschen Schrittes auf mich zukommen. 80 Liter Vaude-Rucksack, Deuter-Jacke, ja, aus Deutschland. Wir plaudern. Sie ist gut drauf, gestern morgen in Cannich gestartet, kam am späten Nachmittag in Alltbeithe an, will heute mindestens bis Morvich, dann mal kucken und nächste Woche nach Norwegen. – Aha. War doch bestimmt heftig gestern, oder? – Nö, ging gut. Nördlich von Loch Affric sei super zu wandern gewesen, richtig spaßig. – Soso. Hm. Ei, allez dann, wie der Saarländer sagt.
Ich erreiche die einsame Camban Bothy und mach dort ne kurze Pause. Plötzlich donnern zwei Militärjets im Ultratiefflug, quasi auf Augenhöhe, von Morvich her durch’s Tal, biegen Richtung Loch Affric ab und weg sind sie. Stille, Bang, Stille. Krass.
Das Tal weitet sich und wird flunderflach. Die Bäche können mit Brücken überquert werden, der Trail wird zum Track, alles easy.
Das Altbeithe Youth-Hostel gilt als abgelegenste offizielle Jugendherberge Schottlands. Es gibt begrenzt Strom mittels Batterie und Windrad. Fließend Wasser… gibt’s draussen am Bach. Es ist zwar bewirtschaftet, also mit Warden, aber nur in Teilzeit, denn jetzt ist keiner da. Wahrscheinlich kommt der immer erst wenn es dunkel wird und spielt den Besenwagen.
Flashback ….Am Morgen des zweiten Tages brachen wir mit mäßig erholten Füssen Richtung Morvich auf, 17km sind es bis dahin. Brücken fanden wir keine, also ab durch die reißenden Fluten. -Flashback- Beim Abstieg ins Glen Lichd konnte jeder Fehltritt ins Verderben führen -Flashback- und im Tal mussten wir uns vor wüsten Huftieren ich Acht nehmen. Aber wir schafften es endlich bis zum Abend nach Morvich….und alle B&Bs waren belegt. Die Wanderschuhe nicht mehr ertragend zog ich meine Birkenstocks an (ja, so was hab ich tatsächlich mitgeschleppt) und uns schleppten wir weiter Richtung Loch Duich. Thomas und ich begannen in Dauerschleife „Scarborough Fair“ zu singen (zweistimmig), um unsere Leiden zu lindern, vergrößerten damit allerdings die von Gert. Auch am nächsten B&B wies man uns ab. „Wenn ihr weiter so singt, finden wir nie was“ knurrte Gert auf dem Weg nach Shiel Bridge. Aber wahrscheinlich sahen wir mittlerweile so mitleiderregend aus, dass sich dort schließlich jemand erbarmte. Oder es war ein Simon & Garfunkel-Fan. Egal. Wir hatten es geschafft. Knapp 50km in 2 Tagen. Glen Affric war bezwungen.
Nachtrag: während ich das schreibe, denke ich mehrfach „waren wir wirklich solche Luschies? Oder hat die Erinnerung das Ganze übertrieben verzerrt?“. Aber dann habe ich dieses Reiselogbuch im Netz gefunden: „Die Tour von Cannich zum Youth Hostel ….ist einfach mörderisch…“ und „…der Todesmarsch zum Youth Hostel. Allerdings ist dieser ewig lange Weg wohl einer der schönsten Wege dieser Erde“. Und alles ist wieder im rechten Licht.
Ab Loch Affric führt die südliche Route überwiegend durch lichten Wald. Der nördliche Trail hat landschaftlich eindeutig mehr zu bieten. Kurz vor dem Ende des zweiten Lochs im Glen Affric, Loch Beinn a’Mheadhoin, geht’s rüber in’s Nachbartal nach Tomich. Dort mach ich am Tomich-Hotel ausgiebig Mittag und Nachtisch gibt’s vom Coach House Cafe gegenüber.
Auf der Weiterfahrt ignoriere ich den Hinweis auf die Plodda-Falls, was ich im nachhinein bedaure, denn die sind zwar klein, aber fein. Dann verlässt die Route den Wald und auf neuer, breiter Baustrasse, die für die Stromleitung angelegt wurde, geht’s ab nach Süden.
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