Tag 3 – So. 11. Juni 2017
Fort Augustus – Contin
105km – 1995hm – 12h
Wetter: heute gibt es den ganzen Tag über gelegentliche kurze Schauern bei maximal 14°C.
Ich werde geweckt von einem seltsamen Geräusch. Da, schon wieder, in unmittelbarer Nähe meines Zelts. Klingt erst kehlig, dann langanhaltend knarrend und hölzern-glockig im Abgang, ich tippe auf einen brünftigen, heiseren Frosch (also einen mit demselben im Hals) am Boden eines leeren Whiskyfasses. Ich kann mich jedoch nicht erinnern, ein solches gestern abend auf den Camping geschleppt zu haben. Oder doch? Sicherheitshalber schaue ich vorsichtig nach. Und da steht, auf einem Bein, die Ursache und starrt mich verwundert, vielleicht auch entsetzt an (ich habe die Vorlesung „Mimik der Vogelwelt“ immer geschwänzt, daher bin ich nicht sicher). Aber solche Reaktionen bin ich direkt nach dem Aufstehen gewöhnt. Eine Freundin sagte mal, wenn ich aus einem Zelt gekrochen komme sähe ich immer aus wie Meister Yoda. Selbst die Farbe würde stimmen.
Heute ist Sonntag und keine Lokalität im Ort für ein Frühstück geöffnet. Aber der örtliche Londis-Supermarkt macht um 9 Uhr auf und dort decke ich mich mit Riegeln ein und zum Frühstück gibt’s einen warmen Blätterteigpie mit Fleischfüllung, ein paar Kaffeestückchen, Cappuccino und Fruchtsaft, verzehrt auf dem Parkplatz nebenan.
Start um 9:20 Uhr. Am Ortsende geht’s auf den Great Glen Way, ein Wanderweg, der von Fort-William bis Inverness verläuft, von Fort Augustus aus als breiter Forstweg auf halber Hanghöhe an Loch Ness entlang. Und auch dazu gibt’s wieder Musik:
Da der Weg überwiegend durch Wald führt, bekommt man allerdings vom Ness nur hier und da was zu sehen. Erst zuhause habe ich herausgefunden, dass vor kurzem eine Variante hangaufwärts oberhalb des Waldes eröffnet wurde, die auf der gesamten Strecke Ausblick über das Loch bietet. So jedoch ist die einstündige Strecke bis Invermoriston nur mäßig interessant, da stört auch der Regen nicht weiter.
In Invermoriston gibt es ein Post-Office mit Shop und ein Cafe, aber eingedeckt, wie ich bin, bewundere ich stattdessen die Ruine der alten Brücke über den River Moriston.
Hier verlasse ich wieder den HTR für eine Alternativschleife. Ich habe keine konkreten Vorstellungen, was mich erwartet, auf geograph.org.uk waren nur wenige Fotos der Strecke zu finden und ein Teil ist auf den Ordnance-Survey-Karten gar nicht als Weg verzeichnet, aber in einem GPS-Portal wurde sie als Bike-Loop erwähnt, jedoch ohne weitere Infos. Das hat den Geographen in mir natürlich gereizt, denn die besten Geschichten schreibt das Unbekannte.
Dem Great-Glen-Way folgend fahre ich auf Teer 1km steil auf Serpentinen die Achnaconeran-Road hinauf, dann auf einen Singletrail, Beginn der erst kürzlich eröffneten „High-Route“ des GGW.
Oberhalb des Waldes steht ein Gateway, ich vermute damit könnte ich schnell mal rüber zum Portalbaum von Luibelt, aber ein Abstecher am Tag reicht.
Dann trifft der Weg wieder auf die Hauptroute des GGW und direkt danach beginnt die unkartierte Strecke. Jetzt wird’s interessant.
Am River Enrick verlasse ich die Baustrasse, um zur nahegelegenden Corrimony-Bothy zu fahren, nicht, um dort zu verweilen, sondern nur, weil ich sie zwar auf der Bothy-Website eingetragen, aber noch nie besucht habe. Von dort sollte man aber besser wieder auf den Hauptweg zurück, denn der folgende Wiesenpfad ist von Fahrzeugreifen tief eingeschnitten und miserabel zu fahren.
Am Weiler Corrimony beginnt ein schmales Teersträßchen und direkt daneben kann man das Corrimony-Cairn besichtigen, ein neolithisches Hügelgrab.
Danach müssen 6km auf der A831 abgespult werden, die ist zwar wenig befahren, reißt einen aber trotzdem krass aus der Wildnis-Geschichte raus. Na ja, genaugenommen haben das schon die Bagger erledigt.
Kurz vor Cannich zweigt der HTR auf eine Singletrack-Road ab, ich aber rolle zuerst in den Ort hinein, denn ich muss unbedingt dem Slaters Arms einen Besuch abstatten.
Hier starteten Gert, Thomas und ich 1992 unsere Glen-Affric Wanderung. Am Vorabend, beim Whisky und voller Tatendrang, berichteten wir den Einheimischen an der Theke von unserem Vorhaben. Diese nur „To Morvich? In two days? Muahahaha“. Pah, von wegen „the scots are a nice folk“, wie Gert noch kurz vorher meinte. Denen werden wir es zeigen. Ausgerüstet mit Rucksäcken wie für eine Himalayaexpedition brachen wir unerschüttert auf und schafften es tatsächlich in zwei Tagen. Die dabei heldenhaft durchgestandenen Abenteuer und Strapazen wurden zur Legende, wenn auch, wie Legenden das so an sich haben, mit den Jahren hier und da etwas Farbe und Zierrat hinzugefügt wurde.
Nun sitze ich also vor dem Slaters Arms bei einem Pint und schreibe eine 25-Anniversary-Message an die beiden und muß breit grinsen, als vor allem eins erwidert wird, blanker Neid.
Nach Sonntags-Kaffee, Keksen und einem Eis ist es 16 Uhr. Bis Contin sind es noch 47km, die HTR-Fahrer brauchen dafür im Schnitt 4:45 Stunden, also noch gut vor der Dunkelheit machbar.
Zurück auf die HTR-Route, die 11km auf beschaulicher Nebenstrecke parallel zur A831 das Tal des River Glass entlangführt, dann auf die andere Talseite auf die A831 wechselt, diese aber bereits nach 2km wieder verlässt. Nun folgt der 19km lange „Path of the thousand puddles“, der Weg der tausend Pfützen. Die Bezeichnung habe ich von HTR-Fahrern übernommen und sie stellt sich als äußerst treffend heraus, die Zahl ist wahrlich nicht untertrieben.
Der Weg verläuft über das Gelände des Fairburn-House, ein schloßartiges Privat-Sanatorium in dessen Park Mammutbäume stehen (bzw liegen). Als ich den River Conon erreiche, gibt es zwei Möglichkeiten. Der HTR verläuft nach Osten in einem Bogen nach Contin, erst 4km auf Singletrack-Road, dann 3km auf der A835. Diese wollte ich eigentlich in einer Variante umgehen, einem Bogen nach Westen um Loch Achonachie und Loch Achilty herum. Das wäre komplett Singletrack-Road, jedoch 20km, und da es bereits 20:30 Uhr ist und ich schon 98km hinter mir habe, entscheide ich mich doch für die kürzere Original-Route. Die Alternative wäre sicherlich schöner gewesen.
Am Contin-Store, der für HTR-Fahrer die letzte Einkaufsmöglichkeit für die nächsten 195km ist, liegt ein kleiner, einfacher Campingplatz. Bevor ich das Zelt aufschlage, telefoniere ich nach Hause. Auf einmal atmet der Rest des Campingplatzes erleichtert auf und ich scharf ein, da alle zwei Millionen Midges von den übrigen Campinggästen ablassen und sich voller Elan (ich glaube auch ein ganz leises „yipieeh“ vernommen zu haben) auf den wohlig riechenden, herrlich verschwitzten und verschlammten Neuankömmling stürzen. Bis ich das Telefonat beendet, mich mit Autan eingerieben und mit Arm- und Beinlingen sowie Kopfnetz dem Ansturm entzogen habe, haben die lieben Tierchen schon saubere Arbeit geleistet.
Ein Lokal gibt es in Contin nicht, daher gönne ich mir zum Abendessen die restlichen Kekse und ein Dosenbier aus dem Londis-Store. Ein interessantes Unterfangen mit einem Kopfnetz.
Slàinte mhath!
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