Tag 6 – Fr. 25. Mai 2012
Glenelg – Glen Sligachan
77km – 1370hm – 6h
Am nächsten Morgen hält sich die Schlagseite überraschend in Grenzen. Ich lasse den Vorabend Revue passieren und entscheide, dass mein übliches Zunge-vor-Hirn wohl auch diesmal keine Blutfehde ausgelöst hat. Vielleicht schlafen aber auch noch alle. Oder wetzen noch schnell die Schwerter.
Draussen ist schon wieder bestes, wolkenloses Wetter. Es könnte mir fast peinlich sein, so ein Glück zu
haben, bei all den Scheißwetter-Reiseberichten, die ich von anderen gelesen und gehört hab.
Isses mir aber nicht.
Frühstück im Inn: Luxus pur. Dann gepackt und ein Abstecher zu den pictish brochs, die Charly mir empfahl. Dazu fahre ich ein paar Kilometer die Route von gestern zurück und dann auf Teer etwa 2 Km ein Seitental rein. Es sind zwei Ruinen von Wohntürmen aus der Pictenzeit, im Abstand von 200m. Kann man sich anschauen. Muß man aber nicht.
Zurück nach Glenelg. Mein Sitzfleisch nervt schon wieder. Offenbar taugt die Radhose nicht viel, denn ich habe mir beidseitig auf den Sitzkochen die Haut aufgescheuert. Ich beschließe, mein Glück weiter zu strapazieren und mein Gepäck zu erleichtern, indem ich einige Dinge, vor allem warme Kleidung, per Post nach Hause schicke. Das nächste Postamt ist allerdings erst in Broadford auf Skye. Auf dem Weg zur Fähre plündere ich aus einem Altpapiercontainer einen geeigneten Karton, den ich vorerst zusammengefaltet auf den Sattelträger spanne.
Der Fähranleger ist ein paar Kilometer ausserhalb von Glenelg und mit seinem kleinen Leuchtturm malerisch kitschig, also genau was für Touries wie mich.
Als ich bereits auf der Fähre bin, kommt im letzten Moment noch ein kleiner weißer Fiat angerast und heraus
steigt „The Joker“. In einem weißen Frotteebademantel. Er plauscht am Fähranleger irgendwas mit dem
Kapitän, vermutlich ein Joke, als er mich erkennt und heftig winkend und „the bloody kraut“ rufend auf die
Fähre gestapft kommt, um mich zu begrüßen und eine gute Fahrt zu wünschen. Also offenbar
tatsächlich keine Blutfehde, obwohl ich mir bei bei den undefinierbaren Applikationen auf der Vorderseite des
Bademantels nicht sicher bin, aber ich tippe eher auf nicht ganz der geplanten Verwendung zugeführte
Baked Beans Soße.
Kaum ist er wieder runter vom Boot, legen wir ab.
Und jetzt natürlich…….
Blick zurück auf die Bucht von Glenelg.
Im Hintergrund die Five Sisters of Kintail
Broadford (ca 700 Einwohner) ist neben Portree der wichtigste Ort der Insel, mit Supermarkt, Tankstelle und Krankenhaus. Ich suche die Post. Und erwische nochmals einen kantigen, gegerbten Schotten, der mir den Weg weist: „Goh to dis Brrötsche and biheind de Tschurtsch to de rreit“. Wie gesagt, man lese es wie deutsch, dann weiß man, wieso ich erst an ne Bäckerei denken mußte. Auch bei der Post merkt man, dass man in Keltenland ist. Ich erstelle ein Paket von etwa 2,5 kg mit allem an Ausrüstung, was ich hoffe entbehren zu können und schick es nach Hause. Kostet zwar 20 GBP, aber das ist es mir (und vor allem meinem Hintern) wert.
Dann geht es weiter Richtung Süden. Ich fahre erst ein paar Kilometer auf Teer, aber, wie ich erst zuhause gesehen kann man auch bereits ab Broadford offroad fahren.
Am Horizont ist die Insel Rum
Jetzt geht es auf der B8083 Richtung Elgol, um die langgezogene Bucht herum, mit anstrengendem Gegenwind. Unterwegs lädt das hübsche Blue Shed Cafe zu einer Pause ein.
Und dann irgendwann, Plattfuß hinten. Nicht im Downhill, nicht in wildem Gelände, nein, auf Teer. Ich halt mich nicht lange mit flicken auf, sondern zieh einen neuen Schlauch ein und weiter geht’s. Es ist heiß, sehr heiß. Später lese ich in der Zeitung, dies sei der heißeste Tag in Schottland seit 3 Jahren.
Ich komme an die Stelle, wo der Wanderweg zum Glen Sligachan abzweigt. Ich weiß nicht, wie lange ich bis zum Hotel Sligachan und damit zu meinem gewohnten Pint brauche und es ist schon später Nachmittag. Also entschließe ich mich weiter auf der Hauptstraße nach Elgol zu fahren. Das geht erst mal ein gutes Stück hoch und dann rollt es wieder runter bis an den Ortseingang des am Hang gelegenen Ortes. Am Beginn der steilen Hangabfahrt frage ich eine Anwohnerin, ob es in dem Ort eine Bar gäbe. Nein? Echt jetzt? Der Ort hat 150 Einwohner und einen Hafen aber keinen Pub? Diese Situation erfordert ein intensives Innehalten. Ich hab 70km hinter mir, OK, das ist nicht die Welt, aber es ist heiß und ich bin im Urlaub, da darf man ja wohl Wert auf ein gepflegtes lauwarmes Ale legen, oder? Also wähle ich den naheliegendsten Weg und fahre über den Buckel zurück zur Einfahrt in den Wanderweg Richtung Sligachan. Hier muss ich noch über den Pass Am Mam, anfangs gut fahrbar, dann immer steiler und verblockter.
Aber dann, holla!
Rechts sieht man Loch na Creithach, der Einstieg in den Sligachan Path, ebenfalls ein Trail-of-the-year.
Und ab geht’s.
Die Abfahrt ist rasant, unten angekommen kann man den Einstieg in den Sligachan-Path nicht verfehlen. Ein Stück weiter am Ende der Bucht stand bis vor ein paar Jahren die Camasunary Bothy, die wurde allerdings abgerissen und am östlichen Ende der Bucht eine neue gebaut.
In einem etwas windgeschützen Bachbett machen wir ein kleines Feuer und ich spendiere meine letzten Tropfen Whisky. Als sie hören, daß ich vorhabe, die Glomach-Falls zu besuchen (der dritthöchste Wasserfall Großbritanniens), raten sie mir ernsthaft ab, das mit dem Bike zu tun. Hm, ich weiß zumindest von zweien, die das bereits gemacht haben, aber die Jubilare wirken nicht wie Sonntagsspaziergänger. Vielleicht sollte ich mir das also wirklich nochmal überlegen.
Später zünden die beiden einen dieser widerlichen Anti-Mücken-Rauchspiralen an und verziehen sich damit in ihr Zelt. Ich spaziere in der Dunkelheit noch runter ans Loch, lausche unter der Mondsichel Eoin Duignan und beschließe diesen Tag ohne Heavy, aber heftig tanzend.
Good night
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